Wildfänge?

Dieses Thema im Forum "Meerwasser / Brackwasser" wurde erstellt von Nati, 15. Januar 2004.

  1. Nati

    Nati

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    Hallo zusammen
    Ich habe zwar nicht im Sinn, ein Meerwasseraquarium einzurichten, aber ich habe trotzdem eine Frage.
    Kürzlich las ich in der Zeitung, dass sämtliche Meerwasserfische Wildfänge sind und ohne Rücksicht auf Verluste aus dem Meer gefischt werden.
    Stimmt das?
    Bei welchen Arten ist das so?

    Ä liäbä Gruäss vor
    Nati
     
  2. LIMBO

    LIMBO

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    freienwil
    Hallo Nati,

    nun, um Deine Frage mit Gewissheit beantworten zu können, bedarf es einiges an Huntergrundinformationen.

    Jedoch kann ich Dir folgende Antworten, werde Dir diese jedoch noch erläutern, geben.

    Nein, es werden nicht alle Meerwasseraquarienfische, welche für dieses Hobby genutzt werden, aus dem Meer gefangen.
    Doch sind es im Moment über 90 % aller Meerwasserfische, welche der Natur entnommen werden, welche unser Hobby abdecken.

    Unter den noch nachzüchtbaren Fischen befinden sich folgende Fischgattungen ( denke das ist einfacher diese aufzuzählen ) :
    Viele verschiedene Riffbarsche, einige Grundeln, einige Leierfische, einige Herzogfische, viele Seepferdchen und Seenadeln, Tintenfische.

    Erläuterung :

    Man darf die Meerwasseraquaristik nicht mit der Süsswasseraquaristik vergleichen, dies machen sehr viele Leute und das ist meiner Meinung nach ein grosser Fehler !
    In der Süsswasseraquaristik, fand man schnell die Futtermöglichkeiten, welche zur Aufzucht mit Erfolg genutzt werden konnten. Auch sind die Jungfische der Süsswasseraquaristik, nach dem Schlupf viel grösser, sodass sie grösseres Futter fressen konnten und somit leichter nachzuziehen waren.
    In der marinen Welt jedoch, sind die Verhältnisse ganz anders. Hier sind die meisten Jungfische nach dem Schlupf viel kleiner, durchleben ein Larvalstadium für eine lange Zeit und treiben selbst als Kleinplankton durchs Wasser. Durch ihre viel geringere Grösse, fressen sie dementsprechend viel kleineres Futter, sogenanntes Mikroplankton.
    Darum war es bis vor einigen Jahren sehr schwer marine Fische für die Aquaristik zu züchten, es verging auch eine lange Zeit bis man überhaupt wusste, was die Tiere frassen und von welcher Art Plankton sie sich ernährten um zu wachsen.
    Ein weitere Problem stellte auch die Futterzucht dar, denn lebendes Plankton aus dem Meer zu fischen war umständlich, teuer und eine in keinem Verhältnis zeitaufwendige Angelegenheit.
    Somit kam nur eines in Frage -> Lebendes Phyto- und Zooplankton selber nachzuziehen. Jedoch musste diese Plankton auch ernährt werden und auch hier mussten grosse und langwierige technische Überlegungen gemacht werden, damit sich das Plankton ersten mal hält und später auch vermehrt, was wiederum bedeutete, dass man sich Gedanken machen musste, wie und mit was man das kleine Plankton ernährt.
    Auch kannte man die verschiedenen Larvenstadien der geschlüpften Fische nicht, denn z.B. jene der Kaiser- oder Doktorfische, halten sich in sehr tiefen Meeresregionen auf, dass man diese Junglarven fast nie zu Gesicht bekommt und dementsprechend wenig über sie weiss.
    Dann begannen sich die Fortschritte zu häufen, man züchtete mit grossem Aufwand Garnelen, einige Anemonenfische, einige Grundeln und Seepferdchen nach. Natürlich war die Anzahl viel zu gering um überhaupt einen kleinen Teil des Aquaristikbedarfes damit abdecken zu können, denn es gab auch Rückschläge, was die ganze Brut kostete, doch war es ein Lichtschimmer am Horizont.
    Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt professionelle Zuchtinstitutionen die sich dem Problem annahmen und mit grossem Erfolg schon diverseste Fische und Niedere Tiere ( das sind Wirbellose Tiere wie z.B. Garnelen, Krabben, Korallen, Muscheln, Anemonen ) nachziehen.
    Klar kann auch hier wieder die nachgezogene Menge den Weltbedarf an Aquarientieren nicht abdecken, da die nachgezogene Anzahl noch viel zu gering ist.
    Darum wird noch heute mit über 90% bei den Fischen auf Naturentnahmen zurückgegriffen, was sich aber meiner Einschätzung nach in vier bis fünf Jahren merklich ändern wird.
    Es ist schon so, dass die marine Hobby-Aquaristik den Naturpopulationen zusetzt, dass gibt es aber auch noch in der Süsswasseraquaristik, doch sicher nicht in der Grössenordnung, wie man immer hört und propagiert wird.
    Da gibt es ganz andere Probleme, welche auf die Organismen im Meer treffen, welche ernsthaft die marine Fauna und Flora schädigen können, wie z. B. Oeltankerunglücke, welche auf Korallenriffe auflaufen oder durch die Klimaveränderung, an welcher der Mensch nicht unschuldig ist, welche verursachen dass Wirbelstürme, welche über Flachwasserriffe hinwegfegen und dabei ganze Lebensräume von Fische zerstören. Hierzu gehört auch die globale Erwärmung, welche die Meere über die 30 Grad-Celsius Marke erwärmt, denn eine längere Zeit über 30 Grad halten die Korallen nicht aus und bleichen aus, also sie gehen zu Grunde, was wiederum den Fischen den Lebensraum kostet aber auch die Nahrung ausbleibt. Denn die meisten Rifffische sind vom Korallenriff abhängig.
    Ein weiteres Problem, welche auch in diese Kategorie fällt, sind die heute nocht immer laufenden Atomtests, welche auf den indonesischen Riffen im Meer durchgeführt werden, wie gross die Zerstörungskraft ist, muss ich Dir sicher nicht erläutern und welche Folgen es hat bestimmt auch nicht.
    Eine weitere Gefährdung ist die Schleppnetzfischerei, welche für den Human-Lebensmittelbedarf getrieben wird, wo die riesigen Netze dem Meeresgrund entlang gezogen werden und dabei ganze Riffregionen zerstören.
    Die schlimmste Gefahr jedoch droht vom Lande, denn chem. Substanzen und Hormone, welche schlussendlich ins Meer gelangen, können heute noch immer nicht von Kläranlagen erfasst und abgebaut oder entfernt werden. Diese Substanzen finden wir in Shampoos, Seifen, allerlei Reinigungsmittel für Haushalt, Autos und Kleider. Auch werden Medizinreste einfach ins Abwassersystem geleitet. Alle diese Substanzen können von Kläranlagen nicht erfasst werden, denn diese arbeiten biologisch mit Bakterienkulturen.
    Diese ganze Palette an Substanzen gelangt irgendwann ins Grundwasser und in die Flüsse, welche schlussendlich im Meer münden.
    Solche Substanzen sind schädlich für Organismen, sie führen zu Gendefekten und Unfruchtbarkeit, was bedeutet, dass die Population nicht im Stande ist, sich zu reproduzieren.
    Dies sind die eigentlichen Gründe, welche man unbedingt bekämpfen sollte, doch leider hat dies viel mit Politik, Wirtschaft und komplizierten Behandlungen zu tun, welche man eher belassen möchte, da viele sich daran nicht die Finger verbrennen möchten.
    Stattdessen greift man die kleinen und gut anpackbaren Ursachen an und schiebt schnell mal den die Ursachen in die Schuhe.

    Klar, ganz unschuldig ist die Meerwasseraquaristik nicht, denn sicher gibt es noch vieles zu lösen, wie den Transportweg und die Zwischenhälterungen zu verbessern, Aufklärungsarbeiten vor Ort und Forschung über neue Erkenntnisse.
    Natürlich gibt es aber auch Fische, welche nur an einem einzigen Ort auf der Welt endemisch sind, jedoch sind die Preise so dermassen hoch, dass sich das niemand leisten möchte und somit zukünftige Fänge dieser Tiere vermieden werden.
    Denn viele Forschungsinstitutionen konnten schon von der Aquaristik überhaupt profitieren, denn eigentlich ist jeder Aquarianer/in ein kleiner Froscher, der Erkenntnisse über seine Tiere macht, Beobachtungen über gewisse Verhalten niederschreibt und Vermehrungsmöglichkeiten veröffentlicht.
    Denn so viel Platz, wie es Aquarianer/innen auf der Welt gibt, so viel Platz werden diese Forschungszentren nie haben, geschweige denn Geld dafür einzusetzen. Sie betreiben zwar ihre Versuche und Forschungsarbeiten mit modernsten Geräten und sicher grossem, meist theoretischen Wissen, doch mangelt es da an Praxis.
    Viele bekannte Buchautoren waren einst Hobby-Aquarianer, welche anhand ihrer Praxiserfahrungen, ihr Wissen in Büchern verfassten.
    Die Süsswasseraquaristik stand vor mehr als 30 Jahren auch an einem solchen Punkt, nur machte man dazumal noch nicht solche extreme Gedanken um Arterhaltung. Auch war die Technik und das wissen genauso eingeschränkt wir vor ein paar Jahren in der Meerwasseraquaristik.
    Heute sieht man eben auch den nutzen der Meeresorganismen, nicht nur als Nahrungsquelle, sondern auch für andere Produkte verwendet man die marinen Ressourcen. Zum Beispiel werden aus einigen Gorgonien, das sind Hornkorallen, Handcremes produziert oder noch andere Pflegemittel. Heute forscht man schon mit Genen von Korallen herum, welche in der Medizin einsetzbar wären.

    Ich könnte hier noch viel weiter schreiben, jedoch würde dies den Rahmen sprengen und auch würde mir die Zeit davonrennen.
    Doch hoffe ich, mit meinem kleinen Statement einen Beitrag zur Aufklärung gegeben haben zu können und somit etwas die Meerwasseraquaristik als Hobby ins rechte Licht gerückt zu haben. Dies soll nicht die Meerwasseraquaristik verteidigen, sondern lediglich aufzeigen, wie es wirklich ist !
     
  3. Anonymous

    Anonymous

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    Hallo Limbo,

    KOMPLIMENT...!!!
    Für deinen guten und Informativen Bericht.
    (Wenn wirklich selber geschrieben.) ;-)
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    Gruss, Roger
     
  4. LIMBO

    LIMBO

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    freienwil
    Hallo Roger,

    Danke Dir :)

    Ist es, frei aus der Birne und das nach dem Frühstück :p
     
  5. Nati

    Nati

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    Hallo Limbo
    Deine Antwort ist wirrklich sehr informativ!!!
    Merci viu mau!!!
    Nati
     

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